Camaret-sur-Mer – Ein Ort mit Geschichte und Geschichten
Hatte ich eigentlich schon erwähnt, dass Camaret-sur-Mer auf der Halbinsel Crozon in der Nordbretagne einer meiner Lieblingsorte ist? 😛
Kein Wunder, dass ich auch meinen ersten Bretagne-Roman genau in diesem Ort angesiedelt habe. Aber was macht diesen kleinen Fischereihafen und seine Umgebung so besonders? Worin liegt sein Reiz, der nicht nur mich, sondern viele Touristen aus ganz Europa, wenn nicht aus der ganzen Welt anzieht?
Camaret – ein Ort mit Geschichte
Ein Aspekt ist mit Sicherheit die einzigartige Lage in einer geschützten Bucht, am Eingang zur tief in das Festland einschneidenden Rade de Brest (Bucht von Brest). Von der Hafepromenade sind es gut 20 Minuten bis zum Strand von Pen Hat, der wegen seiner guten Brandungswellen besonders bei Surfern beliebt ist. Auf dem Küstenwanderweg erreicht man die Landzunge Pointe de Pen Hir, deren traumhafte Kulisse nicht nur Wanderer, Fotografen, sondern auch Kletterer anzieht.
Diese geballte Ladung an Naturschönheiten gepaart mit einem maritimen Klima und Ambiente zog seit Jahrhunderten Schriftsteller und Künstler in ihren Bann. Während der Belle Époque wurde Camaret-sur Mer der Sommersitz einer Gruppe von Pariser Intelektuellen, darunter der Schriftsteller Saint-Pol-Roux, dessen trauriges Schicksal ich bereits in diesem Beitrag porträtiert habe. Noch heute findet man an der Hafenpromenade und im Künstlerviertel um die Place Saint-Thomas zahlreiche kleine Galerien bretonischer und Pariser Künstler.
Sardinenfischerei bringt den ersten Reichtum
Das wahre Herz von Camaret-sur-Mer schlägt jedoch in seinem Hafen.
Im 18. und 19. Jahrhundert blühte Camaret durch den Sardinenfang auf. So zählte man im Jahr 1850 knapp 100 Schaluppen (kleines Boot mit einem Mast und Vorsegel), die jeweils mit 4 bis 5 Seeleuten besetzt waren. Weil der alte Hafen durch den wirtschaftlichen Aufschwung zu klein geworden war, ließ man, um das Be- und Entladen zu vereinfachen bzw. zu beschleunigen, einen neuen Kai errichten. Am pittoresken Kai Gustave-Toudouze (französischer Schriftsteller, der über die Region schrieb) kann man heute noch wunderbar entlang schlendern oder man macht es sich auf den Terrassen der vielen kleinen Cafés oder Crêperies gemütlich. Wenn man die Augen schließt und dem Treiben im Hafen zuhört, kann man sich vielleicht noch in jene Zeit versetzen, als hier Fässer ausgeladen und deren Inhalt in eine der sechs Konservenfabriken transportiert wurde. Oder man vernimmt das Kreischen der Sägen, das Dröhnen der Hämmer von den benachbarten Werften, die den Nachschub an Booten sicherstellten.
Wandel zum führenden Langustenfischereihafen
Zum Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Fanggründe überfischt oder die Fischschwärme des poisson bleu, die Camaret-sur-Mer bis dahin den wirtschaftlichen Aufschwung beschert hatten, zogen weiter. Eine ganze Industrie steckte in der Krise. Um zu überleben, mussten die Fischer sich umorientieren, nach neuen Fischgründen und Absatzmärkten suchen. Man erkannte, dass sich die Bucht durch z.B. das Nichtvorhandensein von Süßwasserzuflüssen optimal für die Haltung bzw. Zwischenlagerung von Krustentieren eignet. Infolgedessen wurden Lebendhaltebecken für vor allem Langusten angelegt. Eine modernisierte Fischereiflotte machte sich zuerst an heimischen und spanischen Küsten, später bis nach Mauretanien und den schottischen Hebriden auf die Jagd nach den beliebten Krustentieren. Weil diese modernen Fischerboote in ihrem Inneren ebenfalls über Lebendhaltebecken verfügten, konnten die Fischer länger unterwegs sein (zwischen 15 bis 35 Tagen) und ihre Fischgründe sukzessive ausweiten. Kurz vor dem Eintritt in den Zweiten Weltkrieg verfügte Camaret-sur-Mer über mehr als 150 speziell für die Langustenfischerei ausgerüstete Boote und etablierte sich damit zum führenden Langustenhafen in Frankreich.
Ende der Langustenfischerrei ca. 1990
Nach Kriegsende setzte sich die Erfolgsgeschichte von Camaret-sur-Mer fort, bis zum Ende der 1960iger Jahre neue Gesetze und Auflagen vor allem in Mauretanien und Marokko die Fanggründe der bretonischen Fischer drastisch beschnitten. Anfang der 1990iger Jahre kam der Langustenfang von Camaret-sur-Mer aus praktisch zum Erliegen, was viele Fischer und deren Familien in den Ruin trieb (eine dieser Familien ist übrigens die fiktive Familie von Avel Lavor, der in meinem Bretagne-Roman eine bedeutende Rolle spielt).
Touristenattraktion Schiffsfriedhof
Heute wird der Hafen von Camaret-sur-Mer vorwiegend von Freizeitkapitänen genutzt, die an den schwimmenden Pontons einen Ankerplatz für ihre Segel- und Motorboote suchen. Kaum ein Hobby- oder Vollzeitfotograf kommt an dem Schiffsfriedhof von Camaret vorbei, ohne wiederholt auf den Auslöser seiner Kamera zu drücken. Auf dem Kiesbett am Deich haben mehrere alte Fischerboote ihre letzte Ruhestätte gefunden. Ihr Rumpf wurde durchlöchert, damit sie bei Hochwasser nicht auf- und danach abtreiben. Das Wetter und die Gezeiten verleihen den Booten einen morbiden Charme, bis zum Schluss nur noch ein hölzernes Gerippe übrig bleibt. Was uns Hobbyfotografen natürlich auch wieder zu ganz besonderen Aufnahmen verleitet. So hat sich der Schiffsfriedhof von Camaret-sur-Mer neben dem Vauban-Turm, der Kapelle Notre-Dame de Rocamadour und den nur einen Katzensprung entfernten Steinreihen von Lagatjar zu einem Anziehungspunkt für Touristen aus aller Welt etabliert.
In diesem Sinn bis bald oder à bientôt.
H.K. Anger
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