Das Wohnmobil als Seelentröster – ein persönlicher Jahresrückblick
Mit Jahresrückblicken haben wir es normalerweise ja eher nicht so … 2024 herrschte bei uns allerdings über lange Monate eine Ausnahmezustand, sodass wir beschlossen haben, eine Ausnahme zu machen: Hier kommt unser sehr persönlicher Jahresrückblick. Aus dem auch hervorgeht, warum es auf dem Blog lange Wochen ungewohnt ruhig war. In all dem Chaos um uns herum, hatten wir jedoch etwas, das uns vor dem kompletten Durchdrehen bewahrt hat: Unser Wohnmobil als Seelentröster. Viel Spaß beim Lesen!
Manche Jahre haben es in sich, bringen uns an unsere Grenzen. 2024 war so ein Ausnahmejahr, das uns noch lange in Erinnerung bleiben wird. Was ist geschehen? Hier ein sehr persönlicher Rück- und Ausblick:
Wir überdenken unser Leben und unsere Zukunft
Alles begann Ende 2020. Da hatten wir nach sorgfältigem Abwägen jeglicher Alternativen und zahlreichen durchwachten Nächten eine Entscheidung getroffen, die weitreichende Konsequenzen haben sollte. Was brachte uns damals um den Schlaf? Wir zermarterten uns darüber das Gehirn, ob wir a) weiter im Odenwald leben und wohnen wollen und b) wie wir unsere Zukunft – auch im Hinblick auf den fortschreitenden Altersprozess – gestalten könnten. Mit Mitte sechzig denkt und fühlt man anders als mit dreißig oder vierzig, setzt andere Prioritäten. Ganz oben auf unserer Wunschliste stand, in Zukunft mehr zu reisen. Öfter und länger mit dem Wohnmobil unterwegs zu sein. Noch sind wir körperlich und geistig fit, noch steht uns die Welt offen. Wenn nicht jetzt, wann dann – das ist wahrscheinlich für viele, die wie wir zur Generation der Babyboomer gehören, keine leere Floskel, sondern eine tief empfundene Dringlichkeit. Aber sich einfach ins Wohnmobil setzen und locker flockig in den Sonnenaufgang fahren? Nein, so funktioniert das zumindest für uns nicht, dazu bedarf es mehr an Planung.
Verschiebung von Prioritäten
Denn zum einen ist da der Alltag und ein Beruf, von dem wir uns auch in den kommenden Jahren (allerdings mit etwas »gebremster Schaumkraft«) weiterhin gern fordern lassen. Freiwillig, weil uns die Arbeit Spaß macht und wir das Gefühl haben, dass sie uns geistig flexibel und geschmeidig hält. Dabei werden wir uns jedoch längere Auszeiten vom Schreibtisch gönnen, uns den Luxus von Flexibilität und Selbstbestimmung leisten. Reisen, wann und wie es uns passt.
Was bedeutet für uns reisen? Und wie wollen wir leben?
Bevor wir diesen Vorsatz in die Tat umsetzten, wollten wir die Angelegenheit jedoch von allen Seiten beleuchten, für uns Klarheit finden und Dinge neu definieren. Sozusagen eine mentale Generalüberholung durchführen. Wir fragten uns, was reisen eigentlich bedeutet. Was gehört außer der Tatsache, dass man von A nach B fährt, dazu? Was ist neben dem Ortswechsel wichtig? Wir beschlossen, gedanklich ganz am Anfang des Reiseprozesses anzusetzen. Das Grundprinzip beim Reisen ist ja, dass man von einem Ort, dem Zuhause, startet und nach einer gewissen Zeit dort wieder ankommt. Von der mobilen Bleibe auf vier (oder sechs) Rädern wieder in eine statische Bleibe aus Stein, Mörtel und Glas zieht. Eigentlich total einfach, wenn alles ineinandergreift, alles passt. Was bei uns nicht der Fall war. Doch der Mangel lag nicht beim Wohnmobil, mit dem wir auch nach fünf Jahren megaglücklich sind, sondern bei unserem Haus, dem Zuhause. Ich fühlte mich durch das zwar schöne, aber recht große Haus, das wir vor 25 Jahren als Drittbesitzer übernommen hatten, eingeengt, sah es als Hindernis für meine zukünftigen Reisepläne. Außerdem ist es aufgrund der verschiedenen Ebenen nicht sonderlich altersgerecht. Was wird, wenn bei einem von uns die Hüfte, das Knie oder der Rücken streikt? Wir die Treppen nicht mehr bewältigen können? Gedanken, die mir Sorgen bereiteten. Erschwerend kam hinzu, dass bei einigen wichtigen strukturellen Dingen akuter Handlungsbedarf bestand. Mein Verhältnis zu meinem Zuhause geriet in eine Schieflage, der Drang nach schneller Veränderung machte sich in meinem Kopf breit.
Die Zeichen stehen auf Neustart – Aber dann geht nichts mehr
Es folgten heftige Diskussionen, die in Skizzen und Entwürfen für ein neues, unserer Lebenssituation besser angepasstem Zuhause mündeten. Ein Baugrundstück in der näheren Umgebung gefiel uns so gut, dass wir einen Architekten kontaktierten. Unser neues Traumhaus nahm auf dem Papier Gestalt an. Mit 60 plus wollten wir das Abenteuer Bauen noch einmal, wahrscheinlich zum letzten Mal in unserem Leben wagen. Wir wussten, dass wir uns auf zwei stressige Jahre einließen, waren aber voller Zuversicht, dass es die richtige Entscheidung wäre. Voller Tatendrang spuckten wir in die Hände und konnten es kaum abwarten loszulegen. Doch dann wurden wir quasi über Nacht komplett ausgebremst: Mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges im Februar 2022 und der damit verbundenen Energiekrise schnellten die Baukosten in unerschwingliche Höhen, alles war plötzlich so teuer, dass es einem davon schwindelig wurde. Wir zogen die Notbremse! Aus die Maus! Die Skizzen vom schönen altersgerechten Traumhaus landeten im Schredder. Was tun?
With a little help from a friend
Zuerst machte sich Frust breit. Wir bliesen Trübsal, wussten nicht so recht, wie es in Sachen Wohnen und Haus weitergehen sollte. Ein Freund rückte uns schließlich den Kopf zurecht, zeigte uns auf, was wir alles hatten und worauf wir aufbauen konnten. Auf der Haben-Seite waren, wie er völlig korrekt feststellte, ein dick gedämmtes neues Dach, eine Erdwärmepumpe, Fliesenbeläge in allen, modern gestalteten Räumen und eine supersolide Bausubstanz. Die Holzfenster und die Fassade hatten zwar gut vierzig Jahre auf dem Buckel, aber die zu ersetzen war weniger aufwendig als sich auf das nervenaufreibende Abenteuer eines Neubaus einzulassen. Und wer weiß, wofür die vielen Quadratmeter einmal gut wären, räsonierte er. Noch befindet sich in der kleinen Einliegerwohnung im Souterrain unser Büro. Doch sollten wir später womöglich Hilfe und Unterstützung im Alltag benötigen, könnte dort eine Pflegekraft unterkommen.
Eine Entscheidung mit Konsequenzen
Hm, so richtig überzeugt waren wir noch nicht. Daher beschlossen wir, etwas Abstand zu gewinnen, und packten das Wohnmobil für einen Kurztrip, der Klarheit schaffen sollte. Wir tranken viel Tee und auch Rotwein, spitzten den Bleistift und legten einen Stapel Papier bereit, bastelten Excel-Tabellen und rangen mit uns. Am Morgen der Heimfahrt war unsere Entscheidung gefallen: Wir verändern nicht den Wohnort, sondern die Umstände, verpassen dem Haus eine radikale Verjüngungskur – das BAFA nennt es übrigens »energetische Sanierung« und hat es entsprechend gefördert.
Prompt war es mit der guten Nachtruhe wieder vorbei, denn auch eine energetische Sanierung will genau kalkuliert und geplant sein: Ein Architekt muss gefunden, Ausschreibungen angefertigt und Handwerkerangebote eingeholt werden. Dass einer von uns dabei vom Fach ist, hat natürlich immens geholfen und Kosten gespart, da wir vieles selbst erledigen und in die Gänge leiten konnten. Der Nachteil: Alles schien sich bereits zu dem Zeitpunkt, lange bevor es mit der Baustelle tatsächlich losging, nur noch um das Haus zu drehen, der Kopf war voll mit Plänen für die Renovierung, der Alltag komplett verändert. Das Reisen rückte weit in den Hintergrund, wodurch bei mir die Stimmung in den Keller rauschte. Glücklicherweise fand ich ein Gegenmittel, einen garantierten Stimmungsaufheller: Wenn mir alles zu viel wurde, schlich ich mich ins Wohnmobil, machte die Füße auf der Rundumsitzgruppe lang, schloss die Augen und träumte mich ein paar Minuten weg von all dem Stress. Das Wohnmobil funktionierte einwandfrei als Seelentröster.
Ein Lichtblick war die CMT24, für die wir wieder akkreditiert worden waren und die wir sehr genossen. Unglücklicherweise erreichte uns an unserem letzten Tag in Stuttgart die Nachricht, dass die Schwiegermutter schwer erkrankt sei und die Prognose nicht gut wäre. Es folgte ein ermüdendes Hin und Her zwischen dem Odenwald und Ostwestfalen-Lippe, bis im April der Zeitpunkt kam, endgültig Abschied zu nehmen. Nach der Heimkehr von der Beerdigung blieb uns nur ein einziger Tag, um kurz durchzuschnaufen.
Baustelle wohin das Auge reicht
Dann rückten die Fensterbauer an, tauschten in vier Wochen 100 Quadratmeter Fensterfläche aus, fügten auch die Fenster, die mehrere Etagen hoch sind, passgenau ein.
Auf die Fensterbauer folgten die Gerüstbauer. Um das ganze Haus rankte sich ein mehrstöckiges Gerüst, das der Wind zum Klappern brachte, auch und vor allem nachts.
Größtenteils in Eigenleistung zogen wir über 1.000 Meter Datenkabel an der Fassade entlang. Dazu kamen Kernbohrungen durch die Wände, vom Profi gemacht. Trotzdem lag überall eine dicke Staubschicht, sogar beim Essen knirschte der Staub zwischen den Zähnen. Wie heißt es so schön: Renovieren ist nichts für Feiglinge. Aber das war noch nicht das Ende: Es dauerte zwei lange Monate, bis die Fassadenbauer dem Haus eine mollige Dämmschicht verpasst, eine neue Putzschicht aufgetragen und anschließend alles mit einer schicken Fassadenfarbe gestrichen hatten.
Die Handwerker waren sehr fleißig, sogar an Samstagen wurde durchgearbeitet. Die Tage waren lang, die Nächte umso kürzer, auch weil wir selbst nicht untätig waren, viele Arbeiten in Eigenleistung erledigten. Liebend gern hätte ich mir ab und an meine »kleinen Fluchten« ins Wohnmobil gegönnt, doch das hatten wir, damit es während der Bauphase keinen Schaden nimmt, an einem anderen Ort geparkt.
Nur nicht verrückt werden! – Das Wohnmobil als Seelentröster
Nur einmal gönnten wir uns in diesem Sommer eine knappe Auszeit. Im Anschluss an die letzte notwendige Dichtigkeitsprüfung verbrachten wir im Juli ein verlängertes Wochenende im nördlichen Elsass. Ich muss zugeben: Die paar wenigen Tage waren ein Segen, haben mich davor bewahrt, komplett durchzudrehen! Ich spielte schon mit dem Gedanken, meine Koffer zu packen und auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden.
Zurück im Odenwald zog sich die Baustelle quälend langsam dahin, täglich erwartete uns ein Hindernislauf mit ungewissem Ausgang. Eine Stunde oder länger ungestört am Schreibtisch zu sitzen und zu arbeiten, war unmöglich. Kaum hatte man einen klaren Gedanken gefasst, musste man wieder raus, um ein Problem zu fixen, fehlendes Material zu besorgen oder darauf zu achten, dass sich keine Fehler einschlichen.
Nahm der Baustellenwahnsinn überhaupt kein Ende? Doch. In der letzten Augustwoche packten die Fassadenbauer ihr Werkzeug zusammen, das Haus wurde vom Gerüst befreit und wir machten uns auf zum CARAVAN SALON. Die Zeit in Düsseldorf war, wie es bei Messen üblich ist, auch ein bisschen stressig, aber das war positiver Stress. Endlich konnten wir uns wieder einer Herzensangelegenheit widmen, rotierten die Gedanken nicht ständig um die Baustelle und die Haushaltsauflösung in Ostwestfalen. Wir haben jeden einzelnen Tag ausgekostet und genossen, schwebten auf unserer ganz eigenen rosa Wohnmobil-Wolke. Sobald wir im Wohnmobil sind, fühlt sich die Welt gleich ein bisschen leichter an, erscheinen die Probleme weniger drängend. Das Wohnmobil ist unsere Wohlfühloase, der Raum, um loszulassen, ganz bei sich zu sein. Manchmal frage ich mich, warum es ein Wohnmobil nicht auf Rezept gibt, ein Camper nicht von der Krankenkasse verschrieben wird. Eine bessere Methode zur Stressbewältigung existiert doch nicht, oder? Das Wohnmobil als Seelentröster – Warum macht das nicht Schule?
Mit Volldampf durch 2024 – Dank unserem Wohnmobil als Seelentröster
Ja, 2024 war kein einfaches Jahr. Aber wir haben es überstanden, es geschafft, auch schwierige Pläne, die anfänglich überhaupt keine Option waren, in die Realität umzusetzen. Das ist ein gutes Gefühl und gibt uns die Kraft, den Rest der Bauphase zu wuppen. 2025 werden wir uns den Außenbereichen rund ums Haus widmen, die unter der Handwerkerinvasion schwer gelitten haben. Trotzdem oder gerade deswegen haben wir schon jetzt neue Reisepläne geschmiedet: Im Frühjahr steht Schweden, im Herbst die französische Atlantikküste und das Médoc auf unserem Reiseprogramm. Mit ein bisschen Glück wird es uns vielleicht sogar gelingen, auch zwischendurch dem Alltag mal kurz den Rücken zu kehren und uns eine kleine Campingauszeit zu nehmen.
Und wenn mich irgendwann wieder das Gefühl befällt, dass mir alles zu viel wird, ich kurz vor dem Durchdrehen bin, habe ich mein Antidepressionsmittel, meinen Seelentröster und meinen Stimmungsaufheller ganz nahe bei mir. Ich muss nur die Haustür öffnen und ein paar wenige Schritte zum Wohnmobil gehen. Dem haben wir im Laufe der Renovierungsarbeiten übrigens einen eigenen Carport spendiert. Dort steht es vor Regen, Hagel und UV-Strahlung geschützt. Und ich kann, so oft mir danach ist, wieder meinen Platz auf der Rundumsitzgruppe einnehmen, die Füße hochlegen und von zukünftigen Reisen träumen. Das Wohnmobil als Seelentröster nutzen.
Ende gut, alles gut.
Tschüss 2024, wir freuen uns auf 2025!