Hochsensibel und reisen? – Mit dem Wohnmobil kein Problem
Heute mal ein Beitrag, der auf den ersten Blick so gar nicht zum Thema Wohnmobil und reisen passen will. Es geht um Hochsensibilität oder Hochsensitivität.
Hochsensibel – Was ist das?
Ein Begriff, der von der amerikanischen Psychologin und Psychotherapeutin Doktor Elaine Aron in den 1990er- Jahren als „Highly Sensitive Person“ (HSP) im Rahmen ihrer Forschungen erschaffen wurde. Manche neurophysiologischen Forscher tun das Ganze zwar als Humbug ab. Sicher ist jedoch, dass manche Menschen (Aron geht von 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung aus), Sinnesreize intensiver wahrnehmen und stärker darauf reagieren beziehungsweise sie anders verarbeiten, als das der Bevölkerungsdurchschnitt tut. Die Gründe dafür sind, wie man annimmt, erblich bedingt und/ oder durch entwicklungspsychologische Faktoren bestimmt. Dieses Temperamentsmerkmal, das sich bereits bei Kleinkindern manifestiert, wächst sich im Laufe der Jahre nicht aus und ist auch nicht „heilbar“. Es handelte sich schließlich nicht um eine Krankheit, sondern um eine besondere Art, wie und wie stark Sinnesreize wahrgenommen und verarbeitet werden.
Nun gut, werden sich jetzt manche von Euch fragen. Alles ja schön und interessant, aber was hat das mit dem Reisen zu tun? Stellt Euch doch mal folgende Situation vor:
Ihr steht auf dem Bahnsteig eines Großstadtbahnhofes. Rechts und links von Euch fahren Züge ein oder verlassen den Bahnhof. Menschen hasten unter dem Rattern ihrer Kofferrollen die Bahnsteige entlang. Kinder schreien aufgeregt oder weinen, weil sie im Getümmel Angst bekommen. Mindestens die Hälfte der Reisenden hat ein Handy am Ohr und versucht sich lautstark, über den Lärmpegel hinweg verständlich zu machen. Fetzen in fremden Sprachen surren wie Pfeile durch die Luft. Zwischendurch melden sich dann noch die Bahnhoflautsprecher zu Wort: »Der Intercity von Frankfurt nach Berlin mit Zwischenhalt in Erfurt und Halle fährt in 10 Minuten von Gleis 8 ab. Vorsicht bei der Einfahrt. Bitte vom Gleis zurücktreten …“ In dem Moment tritt ein im Hauptbahnhof Gestrandeter mit gehetztem Blick auf Euch zu und fragt Euch, ob Ihr die Verbindung von irgendwoher nach irgendwohin kennt. Sein Atem riecht nach dem Stück Pizza, die er zwischendurch vertilgt hat und er fummelt nervös an dem Reisverschluss seiner Jacke herum. Während Ihr noch überlegt, welche Antwort Ihr geben könnt, werdet ihr rüde angerempelt. Aus Angst, einem Taschendieb zum Opfer zu fallen, greift Ihr nach Eurer Tasche und drückt sie fest an den Körper.
Hochsensibel – ein eigenes Empfinden
Gehört dieses Szenario zum ganz normalen Reisealltag? Für Euch vielleicht. Für mich nicht.
Meine Sinne laufen in solchen Momenten Amok. Denn ich fühle und spüre deutlich mehr, als das bei den meisten von Euch wahrscheinlich der Fall ist. Ich höre alles lauter, vielschichtiger und nehme damit manches, weil es mir innerlich wehtut, als Bedrohung wahr. Gleichzeitig dekliniert mein Gehirn, ohne dass ich etwas dazu kann, alle Eventualitäten von Ankommen, Zuspätkommen oder überhaupt nicht Abfahren durch. Die reinste gedankliche Achterbahn. Welche auch Stunden später noch nachklingt. Während Ihr schon gemütlich zu Hause angekommen seid, bin ich im Kopf noch unterwegs. Dazu kommen die Gedanken an diesen Mann, der mich um Auskunft gebeten hat. Durch meine veränderte, facettenreiche Wahrnehmung sehe und spüre ich Dinge, die anderen vielleicht verborgen bleiben: Ich sehe das Aufflackern von Angst in seinen Augen, die besorgt zusammengekniffenen Augenbrauen, den angespannten Mund, die vornübergebeugten Schultern. Wie er sich über den Bauch streicht, weil ihm die Pizza nicht bekommen ist. Und der Anrempler? Der setzt erst recht mein Kopfkino in epischer Länge frei. Was wäre, wenn es tatsächlich ein Taschendieb gewesen wäre? Hätte ich meine Brieftasche besser verstauen sollen? War ich in Gefahr, hinterrücks auf die Gleise zu fallen? Wo der nächste Zug schon naht ….
Als Autorin sind diese Gefühle und Gedankenspiele mitunter sehr hilfreich, weil sie meine Geschichten beleben. Ich muss nicht denken, nicht forschen, sondern einfach nur fühlen. Und das Gefühlte geordnet zur Papier bringen.
Hochsensibel – Bürde und Gabe zugleich
Im richtigen Leben fühle ich mich des Öfteren überfordert. Denn, Ihr habt es inzwischen wahrscheinlich schon erraten: Auch ich gehöre zu der Spezies der Hochsensiblen. Ich muss in dieser Welt der „High Sensitive Person“ mit all ihren funkelnden Erlebnissen und Wahrnehmungen, aber auch mit den Schatten derer klarkommen. Ich lebe mit einer Bürde und Gabe (oder Begabung?) zugleich. Dazu gesellt sich oftmals ein Gefühl des Unverstanden seins, des nicht richtig „Ticken“, emotionales Überreagieren auch bei kleineren Anlässen und eine latente Überreizung.
Für mich kommt im Alltag vieles wie ein total überfüllter Bahnhof herüber – um im Bild von vorhin zu bleiben. Die Folge sind ständige Angespanntheit von Geist und Muskeln, das Gefühl von Überforderung und Stress. Als Kind hatte ich dauernd irgendeinen Infekt mit hohem Fieber und Abgeschlagenheit, was man damals der Tatsache zuschrieb, dass es mich 3 Monate früher als geplant auf diese Welt gedrängt hat. Heute weiß ich, dass das viele Kranksein Ausdruck von Erschöpfung, ein Schrei meines Körpers nach Ruhe und einer Auszeit vom zu viel Empfinden war.
Sitze ich deshalb still in meinem Kämmerlein und wage mich nicht hinaus? Bin ich zum Einsiedler oder Eigenbrötler geworden? Zum Misanthrop? Mitnichten!
Ich liebe das Reisen, neue Eindrücke zu sammeln, fremden Menschen zu begegnen und Erlebnisse außerhalb meiner (durch die Hochsensibilität geprägten) Komfortzone zu durchleben. Ich mache es nur auf MEINE Art.
Bahnhöfe besuche ich, wenn es eben geht, nur aus beruflichen Gründen. Mein Vehikel um Vorwärtszukommen ist unser Wohnmobil.
Hochsensibel und reisen – mit dem Wohnmobil
Im Wohnmobil bin ich von vielen äußeren Einflüssen abgeschirmt. Ich kann genau in dem Rhythmus, der mir guttut reisen. Sind mir die Autobahnen zu voll, zu hektisch, schalte ich einen Gang runter und weiche auf Landstraßen aus. Bin ich müde, setze ich bei nächster Gelegenheit den Blinker und suche mir ein Plätzchen, wo ich mir in aller Ruhe einen Kaffee kochen kann. Oder ein Nickerchen machen kann. Manchmal wird so ein Ruheplätzchen dann im Anschluss zum Übernachtungsplatz. Der Weg ist das Ziel, nicht das monotone Kilometerfressen. Komme ich an einem Ort an, der in mir negative Empfindung freisetzt, weil er zu laut ist, meinen ästhetischen Anforderungen nicht entspricht oder irgendwelche Zeitgenossen zu fordernd sind, fahre ich weiter. Gleichzeitig fühle ich mich im Wohnmobil sicher. Und das nicht nur, weil wir eine Alarmanlage und HEOS-Schlösser eingebaut haben. Unser Wohnmobil ist für mich ein sicherer Hafen, weil es mein Bedürfnis nach Ordnung, Geborgenheit und Harmonie erfüllt. Hier habe ich mich eingebracht und weiß um die (meisten) Gegebenheiten. Hier ist vieles so, wie ich es möchte, weil ich es erschaffen oder verändert oder ausgesucht habe. Im Wohnmobil kann ich runterkommen, meinen inneren Frieden finden, meine galoppierenden Gedanken zur Ruhe bringen. Frei nach dem Motto: Hier bin ich ein hochsensibler Mensch, hier darf ich so sein, wie ich halt bin.
Sind hochsensible Menschen deswegen egoistisch? Hat der beste Göttergatte der Welt dabei eigentlich noch etwas zu sagen, werden sich manche von Euch jetzt vielleicht fragen?
Lasst mich Euch versichern: Gerade weil ich so fühle, wie ich nun mal fühle, sind mir andere Menschen wichtig und teuer. Übernehme ich gern Verantwortung, auch wenn es auf den ersten Blick als unbequem erscheint. Dabei bin ich mit meinem Hang zum Perfektionismus meine stärkste Kritikerin.
Der beste Göttergatte der Welt nimmt mich so wie ich bin und ich ihn so, wie er ist. Und dass schon seit mehr als 35 Jahren. Nicht nur die Liebe und die Wertschätzung dem anderen gegenüber schweißt uns zusammen. Auch unser gemeinsames Hobby: Das Reise mit dem Wohnmobil.
Nicht nur, aber gerade für Hochsensible eine wunderbare und sichere Art, das Reisen mit allen Sinnen zu genießen.
Ich wünsche Euch einen schönen, gesunden und stressfreien Reisesommer.
Eure Heike
Wenn Du Dich weiter mit dem Thema beschäftigen möchtest, auch weil Du Dich in vielem, was ich geschrieben habe wiederfindest und Du glaubst, dass Du selbst zu den hochsensiblen Menschen gehörst, findest Du einen sehr lesenswerten Artikel „Hochsensible Menschen – wie ‚ticken‘ sie?“ bei Andreas Humbert von „Mein Weg aus der Angst„.
(Dieser Blogbericht spiegelt meine Meinung und meiner Erfahrungen wider. Aus rechtlichen Gründen muss ich jedoch folgenden Hinweis hinzufügen: ~Werbung durch Empfehlung ohne Auftrag/Bezahlung.~)