Der geheimnisvolle Schlüssel – eine Wohnmobil-Weihnachtserzählung
Die diesjährige Wohnmobil-Weihnachtserzählung greift ein reales Thema auf. Aufgrund der in diesem Jahr stark gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel fällt es vielen schwer, finanziell über die Runden zu kommen. Manche überlegen, ihr Wohnmobil zu verkaufen oder haben es bereits getan. Nicht nur die Erwachsenen sind darüber oft sehr unglücklich. Für einen kleinen Jungen droht Weihnachten zu einem traurigen Fest zu werden. Gibt es für ihn in der Wohnmobil-Weihnachtserzählung zu Heiligabend ein kleines Wunder?
»So geht es nicht weiter. Wir müssen verkaufen«, sagte Peter Mayer zu seiner Frau Sandra.
»Gibts es keine andere Möglichkeit?«
Peter wies auf den Papierstapel und auf den Taschenrechner, der daneben lag. »Ich habe es jetzt x-mal vor- und zurückgerechnet. Um finanziell über die Runden zu kommen, müssen wir uns vom Wohnmobil trennen.«
»Ich könnte versuchen, zusätzlich einen Minijob anzunehmen. Putzfrauen oder Hilfen in der Gastronomie werden immer gesucht.«
»Du hast schon einen Job, der dich voll in Beschlag nimmt«, mahnte Peter. »Wie willst du einen Zweitjob körperlich und zeitlich stemmen?« Sandra arbeitete auf der Kinderstation eines Krankenhauses.
»Muss halt irgendwie gehen.«
»Du bist abends sowieso schon fix und fertig. Wie willst du da eine zweite Schicht durchstehen?«
»Ich dachte an zwei Stunden, drei- bis viermal die Woche.«
»Ich lasse nicht zu, dass du dich totrackerst. Wir trennen uns von Dingen, die wir nicht mehr brauchen. Basta.« Peter klang entschlossen.
»Aber wir brauchen das Wohnmobil. Sogar dringend«, widersprach Sandra. »Damit fahren wir am Wochenende und im Urlaub in die Natur. Wo die Luft klar und rein ist. Du schuftest 40 Stunden und länger in der lauten dreckigen Fabrikhalle. Um gesund zu bleiben, musst du ab und zu raus.«
»Es gibt auch andere Möglichkeiten, Urlaub zu machen.«
»Aber keine andere ist so schön.« Sandras Stimme zitterte. »Und so günstig. Überleg doch mal, was eine Ferienwohnung für uns drei kosten würde. Oder ein Hotel. Außerdem will ich auch im Urlaub in meinem eigenen Bett schlafen. Morgens die Wohnmobiltür aufmachen und mitten in der schönsten Natur sein.«
Peter fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, er sah müde aus. »Was du sagst ist richtig. Aber wer hätte denn auch ahnen können, dass zuerst unser Auto den Geist aufgibt, die Waschmaschine ersetzt werden muss und Fips eine Zahnspange braucht. Die Summe, die wir dafür benötigen, haben wir nicht auf dem Sparbuch. Wenn wir keine Schulden machen wollen, müssen wir uns fürs Erste einschränken.«
»Ja ich weiß.« Sandra klang unglücklich.
»Vielleicht hätten wir eine Chance gehabt, alles finanziell zu stemmen, wenn die Preise für Diesel, Gas und Strom, Lebensmittel und Klamotten in den letzten Monaten nicht so explodiert wären. Und wer weiß, was noch alles teurer wird. Jetzt zum Jahresende flattern die Versicherungs- und Steuerbescheide herein, da müssen wir ebenfalls mit höheren Beiträgen rechnen. Ich habe außerdem Angst, dass unser Vermieter demnächst die Miete erhöht.«
»Male bloß nicht den Teufel an die Wand!« Sandra wurde blass.
»Ich fahre Samstag zum Abstellplatz und mache Fotos. Und Sonntag werde ich bei mobile.de und eBay eine Verkaufsanzeige aufgeben. Wohnmobile sind derzeit gefragt, wir finden sicher schnell einen Käufer. Womöglich möchte jemand mit seiner Familie ja Weihnachten im Wohnmobil verbringen.«
»Das wollten wir auch«, erinnerte ihn Sandra.
»Wenn wir diese Krise überstanden haben, werden wir uns ein neues Wohnmobil anschaffen«, versprach Peter. »Vielleicht sogar ein größeres, in dem wir mehr Platz haben.«
»Mir hat unseres immer gereicht.« Sandra schniefte.
Peter legte tröstend seine Hand auf die ihre. »Wir dürfen uns in der Situation nicht von unseren Gefühlen leiten lassen. Wir müssen stark sein. Und bleiben. Wir schaffen das.«
»Ja.« Sandra nickte. Aber sie vermied es, Peter anzusehen, hielt den Kopf gesenkt.
»Was ist los? Hast du heute keinen Appetit?«, fragte Opa Horst.
Fips saß wie ein Häufchen Elend am Küchentisch. Er hatte weder die heiße Schokolade noch die Dominosteine und Lebkuchenherzen angerührt. Obwohl er Dominosteine besonders gern mochte, vor allem die weißen, die es zu Hause nicht gab. Opa Horst kaufte sie in der Adventszeit extra für ihn. Und nach Weihnachten steckte er ihm immer die zwei, drei Packungen zu, die er als Reserve im Wohnzimmerschrank liegen hatte. Dabei war Opa Horst nicht sein richtiger Opa, sondern nur der Nachbar aus dem dritten Stock. Sein Opa von der Nordsee und der aus Frankfurt waren vor zwei Jahren plötzlich im Abstand von fünf Monaten gestorben. Was für seine Eltern und für ihn schlimm gewesen war. Jetzt erinnerte nur noch sein Name an die beiden: Philipp Alexander Mayer. Obwohl ihn niemand so nannte. Für alle war er Fips. Einzig seine Mutter sagte manchmal ›Philipp!‹ in diesem scharfen Ton, wenn er sein Zimmer nicht aufgeräumt oder anderen Blödsinn gemacht hatte. Heute war es wieder einmal so weit gewesen, da hatte er seinen Schulranzen beim Heimkommen in die Flurecke gepfeffert und seinen Anorak auf den Boden geschmissen. Doch das warnende ›Philipp!‹ seiner Mutter hatte eher traurig als wütend geklungen.
Opa Horst musterte ihn besorgt. »Ist dir nicht gut? Hast du Bauchschmerzen?«
Fips schüttelte stumm den Kopf.
»Soll ich dir lieber ein Käsebrot machen?«
»Nein.«
»Ich habe noch eine Dose Cola im Kühlschrank.«
Fips überlegte kurz. Echte Cola bekam er zu Hause selten zu trinken. Nur auf Feiern, wenn die Erwachsenen Wein und Bier tranken, schenkte ihm seine Mutter ein Glas davon ein. Cola war cool und lecker. Aber nicht heute. Heute war sein Magen wie zugeschnürt.
Opa Horst nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, wirkte nachdenklich. »Willst du mir erzählen, was los ist?«
»Nee. Kann man nichts ändern.«
»Woran?«
»Daran.« Fips schob trotzig die Unterlippe vor.
»Ich würde aber trotzdem gern wissen, warum du deinen Kakao kaltwerden lässt. Ich habe dir zur Feier des Tages extra ein Sahnehäubchen aufgesprüht.«
»Welche Feier?«
»Fünfmal werden wir noch wach, heißa dann ist Weihnachtstag«, zitierte Opa Horst eine Zeile aus dem Lied, das Fips aus dem Musikunterricht kannte.
»Es heißt: Einmal werden wir noch wach«, protestierte er.
Opa Horst schmunzelte. »Das nennt man künstlerische Freiheit. Gerade zu Weihnachten darf man das.«
»Scheiß Weihnachten!« Fips stieß mit dem rechten Hacken gegen das hölzerne Stuhlbein, wodurch auch der Tisch wackelte und etwas vom Kakao überschwappte. Er warf Opa Horst einen schuldbewussten Blick zu.
»Jetzt aber raus mit der Sprache!« Opa Horst klang ein bisschen wie seine Mutter. Fips wartete darauf, dass er gleich ›Philipp!‹ sagte. Stattdessen stand er auf, holte eine Küchenrolle aus dem Schrank und wischte die Kakaolache weg. Setzte sich wieder Fips gegenüber. »Warum ist Weihnachten plötzlich ›Scheiße‹? Seit Wochen redest du kaum von was anderem und nun ist alles großer Mist? Wie kommt das?«
»Wir fahren nicht weg«, sagte Fips leise.
»Und? Tue ich auch nicht. Ich bleibe wie jedes Jahr zu Hause.«
»Du bist das gewohnt.«
»Ja, das stimmt wohl.« Opa Horst nickte. Seine Augen hatten einen traurigen Ausdruck angenommen.
»Manno. Wir wollten in die Berge fahren und den Schlitten mitnehmen. Das geht jetzt nicht mehr.«
»Warum nicht? Ist bei euch jemand krankgeworden?«
»Papa verkauft das Wohnmobil.« Fips Stimme zitterte.
»Ach wirklich?« Opa Horst setzte die Tasse ab, aus der er hatte trinken wollen.
»Sie haben es mir nicht gesagt. Aber ich weiß es trotzdem.«
»Hast du deine Eltern belauscht?«
»Nein, ich musste auf die Toilette und habe ihre Stimmen aus dem Wohnzimmer gehört.«
»Hast du mit deinem Papa und deiner Mama darüber gesprochen?«
»Nee. Bringt nix. Ist wegen dem Geld. Und bei Geld kann man mit Papa nicht verhandeln. Das Taschengeld hat er zu meinem Geburtstag auch nicht erhöht. Obwohl ich elf geworden bin.«
»Da wäre ich genauso enttäuscht wie du«, sagte Opa Horst mitfühlend.
»Ohne das Wohnmobil werden wir in den großen Ferien nicht wegfahren und auch kein Lagerfeuer am See machen. Der Tim, der Luca und die Lena werden ohne mich auf dem Bananenboot sitzen und sich übers Wasser ziehen lassen. Und ich habe mitgekriegt, wie Mama auf der Toilette geheult hat. Ihre Augen waren rot, als sie endlich rauskam. Ich will nicht, dass das Wohnmobil verkauft wird.«
»Ja, das wäre schade.«
»Letztes Jahr hatten wir an Weihnachten so viel Spaß. Wir haben draußen einen Baum mit Lichtern und Kugeln geschmückt und heißen Apfelsaft getrunken. Dann haben wir mit den anderen, die auf dem Campingplatz waren, Weihnachtslieder gesungen. Später habe ich mit Mama und Papa im Alkoven gelegen und wir haben durch das Fenster die Sterne gezählt. Sogar eine Sternschnuppe habe ich gesehen. Ich will, dass alles genauso wird.« Fips wischte sich über die Augen, die von den Tränen brannten, die er tapfer zurückhielt.
»Das kann ich verstehen. Aber es könnte doch sein, dass es für dich auch zu Hause schön wird. Vielleicht macht ihr ja was Neues, das du toll findest.«
»Nein, ohne Wohnmobil ist es doof.« Fips sprang auf und rannte in den Flur.
»Wo willst du hin?«
»Nach unten, in mein Zimmer.«
»Soll ich dir die Dominosteine einpacken?«
»Keinen Hunger.« Fips riss die Tür auf und war im Treppenhaus verschwunden.
Opa Horst starrte eine Weile gedankenverloren auf den Teller mit dem Weihnachtsgebäck. Dann goss er den kalt gewordenen Kakao und den Kaffee in den Ausguss und setzte sich an seinen Computer. Schon bald hatte er gefunden, wonach er suchte.
Fips stocherte lustlos in seinen Nudeln mit Tomatensoße, als es klingelte. Seine Eltern reagierten nicht, sie hatten sich im Wohnzimmer eingeschlossen, Fips konnte sie leise reden hören. Er vermutete, dass sie den Baum schmückten, obwohl er nicht mitbekommen hatte, wie sie ihn in die Wohnung getragen hatten. Überhaupt verhielten sie sich in den letzten Tagen merkwürdig, und er fühlte sich ausgeschlossen. Nicht so wie in den vergangenen Jahren, wo sie alles gemeinsam gemacht hatten. Er schob den Teller von sich und schlurfte zur Tür.
»Opa Horst«, sagte er erstaunt.
»Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Nee, ich bin mit dem Essen fertig. Mama und Papa sind im Wohnzimmer.« Fips ging zurück in die Küche und Opa Horst folgte ihm. Er griff in die Jacke seiner beige-braunen Strickjacke und holte ein kleines flaches Paket hervor.
»Eigentlich ist es noch ein bisschen früh für die Bescherung, aber der Weihnachtsmann hat bei mir etwas für dich abgegeben. Ich wollte es dir überreichen, bevor bei euch das Fest beginnt.«
Fips musterte Opa Horst verdutzt. Warum waren mit einmal alle Erwachsenen so komisch? Er wusste doch, dass es den Weihnachtsmann nicht gab, er war schließlich kein Baby mehr. Was sollte dieses Theater?
»Nimm schon«, drängte Opa Horst und drückte ihm das Päckchen in die Hand. Es war federleicht. Der ferngesteuerte Truck, den er sich gewünscht hatte, konnte nicht darin sein.
»Danke«, sagte er unsicher.
»Nun mach schon auf.« Opa Horst grinste ihn erwartungsvoll an.
Fips entfernte die rote Schleife, riss das Geschenkpapier auf und öffnete den Deckel. Auf einem blauen Samtkissen lag ein altertümlicher großer Schlüssel.
Er schaute Opa Horst fragend an. »Was ist das?«
»Ein Schlüssel.«
»Ja, aber wofür?«
»Das musst du selbst herausfinden. Schau mal, unter dem Kissen ist noch etwas.«
Fips hob das Samtkissen an und zog ein Stück Papier darunter hervor. Er legte das Päckchen zur Seite und entfaltete den Briefbogen. Zum Vorschein kam eine Art Landkarte: Er konnte Straßen, Häuser, ein Wäldchen und einen See erkennen.
»Ist das eine Schatzsuche?« Er konnte sich keinen rechten Reim auf das Geschenk machen.
»Könnte man so nennen.«
Fips studierte nachdenklich die Karte. »Das ist nicht hier. Wie komme ich dahin?«
»Mit dem Auto«, sagte seine Mutter, die plötzlich an seiner Seite war.
»Opa Horst hat kein Auto«, erwiderte er.
»Aber wir, sogar ein fast neues.« Sein Vater war neben seine Mutter getreten.
Seine Mutter hielt Fips den Anorak hin. »Zieh ihn dir schnell über und die Schuhe an, dann fahren wir los.«
»Und Opa Horst?«
»Der kommt selbstverständlich mit.«
Zehn Minuten später saßen sie alle im Kombi. Sein Vater fuhr, Opa Horst hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen, Fips und seine Mutter auf der Rückbank.
»Sag Bescheid, wenn du das Haus mit den schwarzen Schieferplatten auf dem Dach siehst«, wandte sich Opa Horst an Fips.
Fips starrte nach draußen. Leichter Regen hatte eingesetzt, und es wurde langsam dunkel. In den Bergen würde es jetzt schneien. Er dachte an seinen Schlitten, der an diesen Weihnachtsfeiertagen unbenutzt im Keller stehenblieb. Das Herz wurde ihm schwer, doch dann konzentrierte er sich wieder auf die Karte. Die Schatzsuche war aufregend, das ließ ihn den Schnee und das Schlittenfahren vergessen.
»Da vorn«, rief er. »Da ist das Haus.«
Opa Horst drehte sich zu ihm um. »Und nun?«
Fips warf einen Blick auf die Karte. »Wir müssen nach links abbiegen. Und bis zum nächsten Haus fahren.«
Sein Vater tat, wie ihm geheißen, und in der Dämmerung tauchte bald eine große alte Scheune auf.
»Ah, da sind wir ja endlich«, sagte Opa Horst zufrieden und öffnete die Autotür. »Vergiss den Schlüssel nicht.«
Fips löste den Sicherheitsgurt und stieg aus. Die Autoscheinwerfer erhellten die Vorderseite der Scheune, ansonsten war es stockdunkel. Ein Vogelschrei ertönte aus dem nahegelegenen Wäldchen. Fips glaubte, es war eine Eule oder ein Käuzchen. Ihm war ein bisschen unheimlich, aber das wollte er sich nicht anmerken lassen. Opa Horst fasste ihn sanft am Arm und drängte ihn ein paar Schritte vorwärts.
»Steck den Schlüssel ins Schloss.«
Seine Finger waren vor Aufregung feucht, doch er schaffte es, den Schlüssel umzudrehen und die Tür zu entriegeln. Das große Scheunentor schwang knarzend auf und Fips konnte schemenhaft etwas Großes im Inneren erkennen.
»Einen Augenblick«, sagte Opa Horst. »Hier gibt es auch Licht, ich muss nur den Schalter finden.« Wenige Sekunden später flammte eine altertümliche Deckenlampe auf, die alles in einen gelben sanften Schein hüllte. Fips glaubte zu träumen. Er blinzelte, doch das Bild vor seinen Augen blieb unverändert.
»Unser Wohnmobil«, sagte er schließlich. »Wie kommt unser Wohnmobil hierher?«
»Dein Papa hat es in die Scheune gefahren«, antwortete Opa Horst.
»Aber es ist doch verkauft.« Fips wusste nicht, was er von all dem halten sollte. Erlaubten sich die Erwachsenen einen Scherz?
»Ja, du hast recht, es ist verkauft.« Opa Horst ging zur Motorhaube und legte seine Hand darauf. »An mich.«
»An dich? Aber du bist alt«, rutschte es Fips heraus.
»Wie wahr.« Opa Horst schmunzelte. »Deshalb brauche ich auch einen Chauffeur. Deinen Papa.«
»Du willst mit Papa in Urlaub fahren?« Fips starrte ihn ungläubig an.
»Vielleicht möchte ich mal ein Wochenende am See verbringen«, sagte Opa Horst. »Und da es mir allein zu langweilig ist, wäre es toll, wenn ihr mitkommt.«
»Klar machen wir.« Fips strahlte Opa Horst an, dann überfielen ihn Zweifel. »Oder?«, wandte er sich an seine Mutter.
»Ja, wir werden alle gemeinsam fahren«, versicherte sie ihm. »Ich werde vorher einen Kuchen backen und abends grillen wir Würstchen.«
»Und Marshmallow?«
»Und Marshmallow.« Seine Mutter lächelte.
»Die meiste Zeit werdet ihr euch allerdings allein um das Wohnmobil kümmern müssen«, verkündete Opa Horst. »Wie du eben schon sagtest: Ich bin alt und meine morschen Knochen vertragen lange Autofahrten nicht mehr. Aber ein Wohnmobil, das muss ja bewegt werden, dem bekommt das viele Herumstehen nicht. Diese Aufgabe müsst ihr für mich übernehmen.«
Fips trippelte vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen. »Wir fahren im Sommer also zum Campingplatz? Wo auch Tim und Lena sind?«
»Ja. Wir haben gestern Abend schon gebucht. Unseren Lieblingsplatz direkt am Badestrand, da können wir morgens gleich eine Runde schwimmen. Und danach gemütlich vor dem Wohnmobil frühstücken.« Die Augen seiner Mutter glänzten. Weinte sie etwa?
Sein Vater räusperte sich. »Wir werden gut für das Wohnmobil von Opa Horst sorgen, nicht wahr?«
»Ich werde vorsichtig sein und nie wieder Saft verschütten«, versprach Fips.
Seine Mutter wuschelte ihm durchs Haar. »Und wenn, ist es nicht schlimm, dann wischen wir ihn weg.«
Opa Horst hatte die Hand von der Motorhaube genommen und ging zur Aufbautür, die er mit dem kleinen Schlüssel, den Fips kannte, entriegelte. »Ich weiß nicht, wie es euch ergeht. Aber so allmählich bekomme ich Hunger. Wollen wir reingehen?«
»Gute Idee.« Seine Mutter schob Fips vor sich her und sie traten ein.
»Oha, da war der Weihnachtsmann aber fleißig.« Opa Horst legte seine Jacke ab, weil die Heizung bullerte. Auf dem Tisch und der Küchenzeile war ein kleines Buffet mit Frikadellen und Würstchen, Kartoffel- und Nudelsalat, eingelegten Gurken, Senf und Ketchup, Brot und Butter sowie Getränken aufgebaut. Tannenzweige verströmten einen würzigen Duft. Entlang der Oberschränke waren Lichterketten gespannt. Fips Vater drehte an einem Schalter und aus den Lautsprechern erklang Weihnachtsmusik. Trotzdem konnte Fips hören, wie sich ein Auto näherte, das vor der Scheune anhielt. Die Insassen stiegen lachend aus. Opa Horst ging ihnen entgegen, Fips und seine Eltern folgten ihm.
»Das sind Reiner und Kathrin mit Sven und Lara«, stellte Opa Horst die Neuankömmlinge vor. »Liebe Freunde von mir, denen der Bauernhof da hinten und auch die Scheune gehört. Bei ihnen darf ich das Wohnmobil unterstellen. Ihr werdet euch von jetzt an also öfter sehen.«
»Kommst du mit Feuerholz sammeln? Wir wollen gleich ein Lagerfeuer machen«, wandte sich Sven an Fips.
»Willst du in den Wald?« Fips hoffte, dass der Junge, der ein paar Jahre älter als er war, dies verneinen würde.
»Ja logisch. Ich kenne eine Stelle, wo eine Menge trockenes Holz liegt.«
»Cool«, behauptete Fips und gab sich alle Mühe, dass man ihm seine Angst nicht anmerkte.
»Hier.« Das Mädchen drückte ihm eine Taschenlampe in die Hand, und er fühlte sich gleich besser.
Sven eilte voraus und Fips versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Da stoppte er abrupt und rannte zurück. Vor Opa Horst kam er zum Stehen.
»Ich hab was vergessen«, keuchte er und umarmte Opa Horst so heftig, dass der beinahe umgefallen wäre. »Danke, dass du unser Wohnmobil gerettet hast.«
»Ach, das war doch nur eine Kleinigkeit. Ich wollte schon immer ein Wohnmobil haben«, wiegelte Opa Horst ab. Seine Stimme klang mit einmal rau, so als ob er eine Erkältung hätte.
»Du bist der beste Opa der Welt.« Fips drehte sich um und spurtete los.
Seine Mutter hauchte dem alten Mann einen Kuss auf die Wange. »Und du gehörst jetzt zur Familie. Frohe Weihnachten Horst.«
Mit der diesjährigen Wohnmobil-Weihnachtserzählung wünschen wir allen LeserInnen, allen Wohnmobil- und CampingfreundInnen und Messebekannten ein frohes und friedliches Weihnachtsfest und einen gesunden, guten Rutsch ins neue Jahr. Mögen Frieden, gegenseitige Achtung, Liebe und Zuversicht all die dunklen Schatten vertreiben. Heike + Wolfdietrich
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