Auf der Spur der Austern – in Le Port du Bec
Mit Austern ist es wie mit dem Winter: Man mag sie oder man mag sie nicht.
Ich persönlich weiß nach über 30 Jahren Reiseerfahrung in Frankreich noch immer nicht, wie ich zu dem Meeresgetier mit der harten Schale und dem weichen, etwas glibberigen Kern stehe. Lange Zeit habe ich mich zudem mit der Frage herumgeschlagen, ob die Auster an sich für Vegetarier nun geeignet ist oder nicht. Streng genommen ist sie weder Fisch noch Fleisch, aber, in rohem Zustand, definitiv sehr lebendig. Wenn französische Bekannte mir Austern aufgetischt haben, habe ich immer zuerst heftig geschluckt. Schon vor dem eigentlich, mehr oder minder genussvollen, Schlürfen.
Wenn ich mich dann doch an eine Auster herangewagt habe und das blass grau-bläuliche Fleisch noch so leicht erzitternd auf meiner Zunge lag, dann explodierten plötzlich alle Geschmacksnerven. Denn eine Auster, die mehr als 3 Jahre wohl verpackt mit anderen Austern in einer sogenannten poche (Tasche) auf dem offenen Meer verbracht hat, kann ihre Herkunft in der Tat nicht leugnen. Eine ausgewachsene Auster schmeckt wie die Essenz des Meeres. Ja, manche mögen sogar behaupten, dass sie den Mikrokosmos des Meeres schlechthin darstellt.
Wer das Meer liebt, muss deshalb auch die Austern lieben. Vielleicht nicht gerade auf der Zunge, sondern für das, was sie stehen. Austern gibt es wahrscheinlich seit Anbeginn der Meere. Schon die Ureinwohner der Küsten haben sie mit einfachsten Werkzeugen von den Felsen gemeißelt und ihre harte Schale geknackt. Bis die Auster der kulinarische Ausdruck für gehobene Lebensart und Savoir-vivre wurde, war sie für die Meeresanrainer ein arme Leute Essen. Man pflückte 2 Dutzend oder so davon am Strand, steckte sie mit Gemüse und Kartoffeln oder Getreide in einen Topf, ließ alles ein paar Stunden bei kleiner Flamme köcheln und hatte am Abend einen leckeren Eintopf.
Für uns, die wir nun den Austernanbaugebieten am Mittelmeer wie auch Atlantik begegnen, ist dieser etwas robuste Umgang mit dem Schalengetier eine etwas gewöhnungsbedürftige Vorstellung. Denn heute wird die Auster meist in ungekochtem Zustand geschlürft. Gern auf etwas Eis serviert, denn verzehrfertige Austern sind äußerst anspruchsvoll, was ihre Aufbewahrung betrifft. Ohne Kühlung geht da nichts. Ob ein Spritzer frischer Zitronensaft das einzigartige Aroma nun verbessert oder nur die Geschmacksnerven ablenken soll, sei dahingestellt.
Fest steht, dass das Thema Austern einiges an Diskussionsstoff bietet. Neugierig macht. Zumindest mich.
Deshalb habe ich mich entschlossen, in diesem Urlaub der Spur der Austern zu folgen.
Meine erste Station ist ein kleiner Hafenort an der Côte de Lumière, der Küste des Lichts in der Vendée. In Le Port du Bec lebt man von, mit und für die Auster. Dort reiht sich, dicht gedrängt, ein Austernbecken an das andere. Kleine, weiße Hütten ducken sich unter der im Sommer oft gleißenden Sonne, im Herbst- und Winter unter dem unbarmherzigen Wind, der über die Bucht von Bourgneuf braust. Sobald der ideale Wasserstand bei ablaufendem Wasser erreicht ist, rattern Traktoren mit Anhängern, auf denen die typischen flachen Austernboote transportiert werden, zur Rampe unterhalb des Wehrs. Dort werden die Boote bei jedem Wetter zu Wasser gelassen, um die producteurs d’huîtres und ihre Mitarbeiter zu den Austernbänken in der Bucht zu bringen.
Ein paar Tage habe ich diejenigen, deren ganze Passion den Austern gilt, beobachtet. Was mir dabei aufgefallen ist, werde ich in einem späteren Blogbeitrag erzählen.
Eins nur vorweg: Eine Auster zu schlürfen ist leicht. Es zu ermöglichen, dass eine frische Auster überhaupt den Gaumen von Gourmets erreicht, ist harte Arbeit. Verdammt harte Arbeit.
Auf den Spuren der Austern lerne ich viel über ein Frankreich, das mir bis dahin verborgen geblieben ist. Und schon jetzt weiß ich mit Sicherheit, dass ich mich dieser Passion und derer, die sie teilen, nicht verschließen kann. Noch bleiben mir 2 Wochen, um mich im Universum der Austern umzuschauen.
In diesem Sinn bis bald oder à bientôt.
H.K. Anger
Dieser Bericht spiegelt meine Meinung und meiner Erfahrungen wider. Aus rechtlichen Gründen muss ich jedoch folgenden Hinweis hinzufügen: ~Werbung durch Empfehlung ohne Auftrag/Bezahlung.~